Matthias Schmeier
*5.4.1965
Feuer und Flamme – Revolution im Hobbykeller
Schon als Kind hat Matthias Schmeier, wenn seine Mutter Kuchen backte, aus Teig und Mehl Figuren geformt und Szenen gestellt.
Im saarländischen Bergarbeitermillieu großgeworden, schloss er sich schon als Hauptschüler der linken Protestszene an, demonstrierte gegen Atomkraft und die Startbahn West. Nach seiner Ausbildung zum Stuckateur sah er sich auf einen Lebensweg festgelegt, mit dem er sich nicht identifizieren konnte; in der rau bis brutalen Welt am Bau mochte er sich nicht einrichten. Nach Abschluss der Lehre ging er nach Köln, lebte und arbeitete dort in einer linken Kommune, die links-autonome Szene wurde schnell seine Welt. Fremdheitsgefühle gab es allerdings auch hier, z.B. wenn Schmeier, einen strukturierten Arbeitsalltag gewöhnt, morgens um 7.00 Uhr bereit stand, um ein gemeinsam geplantes Projekt in die Tat umzusetzen, die Genossen aber erst Stunden später aus den Federn kamen. Irritation löste auch sein Hobby aus: Modellbau. Niemand wusste so recht etwas damit anzufangen, dass für Schmeier die langatmigen Diskussionsforen nicht der einzige Art war, um Aktionen wie Hausbesetzungen, Demonstrationen und Blockaden zu reflektieren, sondern dass er sich zurückzog und die erlebten Szenen nachbaute.
Der leidenschaftliche Protest von Menschen gegen unterdrückende Verhältnisse interessiert Schmeier grundsätzlich. Die Fernsehbilder vom Vietnamkrieg, die er als Kind sah, haben sich ihm tief eingebrannt. Es zog ihn nach Irland, wo er im linken Buchladen arbeitete und den Alltag des Bürgerkriegs hautnah miterlebte, er ging zur Zeit der sandinistischen Revolution als Aufbauhelfer nach Nicaragua.
Die Auseinandersetzung mit diesen Geschehnissen setzte Schmeier in Dioramen um - so nennt man die dreidimensionalen Szenen, die er herstellt. Über die Jahre entstand so eine Anzahl von 14 solcher Szenen. Die Fertigstellung eines Dioramas kann sich dabei über mehrere Jahre erstrecken und in der Regel arbeitet er an mehreren Projekten.
Seine Biografie hat ihn zunächst einen verschlungenen Bildungsweg gehen lassen. Auch mit der Buchhändlerlehre im linken Buchladen und der darauf folgenden Arbeit in einer Universitätsbuchhandlung hatte er seinen Platz noch nicht gefunden. Er büffelte Englisch, um dann am Abendgymnasium sein Abitur zu machen, studierte dann Volkswirtschaft, wollte wissen: Wie kann das funktionieren, was wir uns erträumen? Die Ernüchterung ging in zwei Richtungen: Zum einen gegenüber einem Wissenschaftsbetrieb, in dem die soziale Frage nicht wirklich eine Rolle spielt, zum anderen gegenüber der linken Denkheimat, in der ihm mit dem erworbenen wirtschaftlichen Wissen so mancher liebgewonnene Glaubenssatz zerbrach. Su wurden die 90er Jahre für Schmeier zu einer Zeit eines sehr allmählichen erneuten Heimatverlustes. Geblieben ist ihm die Identität eines politisch denkenden und fühlenden Menschen, dem historische Zusammenhänge sehr präsent sind. Als Berufsschullehrer unterrichtet er mit viel Herzblut und pädagogischer Kreativität die Fächer Wirtschaft, Geschichte und Politik. Auf bisweilen sehr ungewöhnlichen Wegen versucht er, seine Schüler wach zu rütteln, ihnen zu vermitteln, welche Gestaltungsspielräume es in der Gesellschaft, in der sie leben, gibt. Privat ist Schmeier längst in einer Lebensform angekommen, die man allgemein als „bürgerliche Existenz“ bezeichnet. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern im Eigenheim in einem Vorort von Köln. „Vom Hausbesetzer zu Hausbesitzer“ witzelt er, als staune er selbst noch immer ein wenig über die Entwicklung. Ein positiver Nebeneffekt: Der Keller bietet ausreichend Platz, die Modelle zu lagern und Schmeier hat sich eine kleine, aber feine Werkstatt eingerichtet.
Die Arbeit an seinen Dioramen bleibt ein Kontinuum. Seine Technik ist über die Jahre gereift. Den Figuren im Maßstab 1:35 Leben einzuhauchen ist schon Routine geworden. Die Szenen recherchiert er in historischen Bildbänden, versucht sich genau vorzustellen, was in einer bestimmten Situation genau vorgegangen sein mag. Dabei entstehen in einem Modell viele Parallelszenen, die Vieldimensionalität der Wirklichkeit wird sich auf faszinierende Weise erlebbar. Die Darstellung eines vietnamesischen Flüchtlingstrecks zeigt Erste-Hilfe leistende Sanitäter, gewährt Einblick in überfüllten Busse, lässt Hektik, Stress, Überfülle spürbar werden. Hunderte Figuren drängen sich in dieser Szene. „Wie viele Stunden da wohl drinstecken?“, fragt sich so mancher Betrachter.
Jeden Freitagabend zieht sich Schmeier in den Raum zurück, den er „mein Keller“ nennt. Freitagabend ist „Bastelabend“. Das passt gut, denn am Ende der Arbeitswoche steht dem Lehrer nicht der Sinn nach Kommunikation. Dann klingt aus dem Keller das Surren der Schleifmaschine, die sehr an Zahnarztgeräte erinnert und mit der die kleinen Figuren ihre Kontur erhalten. Dann kann es spät werden, bis er wieder auftaucht.
Auftauchen ist seit einiger Zeit aber wichtig für Matthias Schmeier. In der Modellbauerszene haben seine Arbeiten wenig Resonanz gefunden. Zu groß ist der Abstand seiner gesellschaftskritischen Werke, in denen Leid, Tod, Zerstörung beklemmend genau dargestellt werden, zu den detailgetreuen Modellen, die technikverliebt, aber geschichtsvergessen sind. Mal wieder musste Schmeier begreifen, dass er fremd ist, hier nicht hingehört.
Das im letzten Jahr erwachte mediale Interesse an seinen Arbeiten ermöglicht nun eine Reihe von Ausstellungen. Schmeier freut sich darüber, sieht eine Chance, sich mit der Botschaft seiner Werke wieder einzumischen in die Suche nach politischer Verortung, nach der Bewertung von Geschichte und Gegenwart im gesellschaftlichen Diskurs über die Frage nach dem Richtigen und dem Falschen. Eine Chance, dem roten Faden des eigenen Lebens treu zu bleiben und ihn weiter zu spinnen.